Dass ein Bezirksverband des Vereins Deutscher Ingenieur*innen – hier der VDI-BV Bayern Nord-Ost - und eine Gewerkschaft – hier die IG Metall (IGM) Nürnberg – gemeinsame Sache machen, ist nicht überall normal. Doch in Franken klappt das schon lange: Die regelmäßigen Nürnberger Technik-Dialoge gibt es bereits seit 2015.
„Wir wollen in dieser einmaligen Kooperation gemeinsam die Zukunft gestalten“, stellte dazu Christian Baeder fest, Gewerkschaftssekretär der Nürnberger IGM. Und Matthias Kißmer, der Vorstandsvorsitzende des VDI-BV sieht in dem Dialog-Format „die Chance, Standpunkte auszutauschen“.
Für Kißmer gilt es auch, diesen in Corona-Zeiten fortzusetzen. Deshalb fand der Dialog über das von und durch Corona angeschobene Thema „Homeoffice lieber live und online“ statt, als den Termin zu streichen. Dabei stellten drei Fachleute – eine Wissenschaftlerin, ein kommunaler Arbeitgeber und eine Arbeitnehmervertreterin – ihre Erkenntnisse dar. Und immerhin um die 50 Menschen nahmen von ferne das Angebot an, zuzuhören und mitzudiskutieren.
Arbeiten fern vom Arbeitsplatz hat sich bekanntlich vor über einem Jahr im ersten Corona-Lockdown schlagartig vervielfacht. Für die Soziologin Professor Dr. Sabine Pfeiffer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg war ein ganz wichtiges „Phänomen: Vorher haben wir über Digitalisierung vor allem diskutiert. Es hieß, die Belegschaften wollen sich nicht verändern.“ Doch dann kam plötzlich Corona – und es klappte schlagartig: „Ich hoffe, die Erkenntnis bleibt, dass Beschäftigte durchaus zum Wandel fähig sind und digitale Fähigkeiten mitbringen.“ Aber Prof. Pfeiffer stellte auch klar: „Der psychische Stress nimmt im Homeoffice noch zu. Und man verliert die sozialen Kontakte im Betrieb“, ein oft unterschätzter Produktivitätsfaktor.
Harald Riedel, als Finanzreferent der Stadt Nürnberg auch für Personal und IT zuständig, „war anfangs unter den Skeptikern. Doch dann geschah ein wahres Wunder: Es ging reibungslos und schnell. Wir haben unsere Homeoffice-(HO-)Arbeitsplätze in sechs Wochen verzehnfacht.“ Waren vor Corona 400 der 12.000 Stadtangestellten in HO, sind es heute 4.200. „Es wird kein Zurück zur Alten Welt geben“, so Personaler Riedel, aber eine dank Mitarbeiterbefragung forcierte „Optimierung: zwei bis drei Tage im HO, der Rest im Büro. Auch um soziale Kontakte zu pflegen.“
Den Verlust des Zwischenmenschlichen sieht Eva-Maria Hallmeyer ebenfalls als große Gefahr von „nur HO“. Die Betriebsrätin beim Schreibwarenhersteller Staedtler in Nürnberg merkte an: „Zusammenhalt, Kollegialität, Solidarität in der Belegschaft entsteht nur, wenn man Kollegen begegnet. Auch solchen, die andere Aufgaben haben.“ Und auch die Mitbestimmung leide: „Es braucht Austausch vor Ort, auch Konflikte. Betriebsräte, aber ebenso Personalverantwortliche müssen den Leuten persönlich begegnen können.“
Doch es gebe auch Spannungen in den Betrieben, gaben alle Drei zu. Beispielsweise, weil nicht alle ihre Tätigkeiten im HO erledigen können. Immerhin spare man sich dabei die Zeit für die Pendelei zwischen Wohnung und Arbeitsplatz. Weshalb „ein Recht auf HO schön wäre“, wie Betriebsrätin Hallmeyer meinte. Stadtrat Riedel dagegen mochte „nicht alle Dinge über eine Kamm scheren: Wo Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Augenhöhe agieren, ist ein solches Gesetz nicht nötig.“ Psychologin Pfeiffer dagegen sähe „ein HO-Gesetz auch als Signal, gerade für Firmen ohne Betriebsrat. Dann würde man sich auch dort leichter trauen, HO zu fordern.“
Nicht alles zu Ende bedacht
Doch es gibt noch offene Fragen, beispielsweise zur Arbeitssicherheit. Während im Büro jeder Stuhl, jede Beleuchtung genau betrachtet wird, könne im HO auch vom Sofa aus gearbeitet werden – die Ergonomie bleibe auf der Strecke, gaben die Experten zu. „Diese Anarchie der Coronazeit müssen wir ein Stückweit bereinigen“, blickte Harald Riedel voraus: Die Stadt wolle die Einrichtung von Heimarbeitsplätzen finanziell unterstützen und beschaffe momentan gerade die digitale Ausstattung für 4.000 HO-Beschäftigte.
Wo ebenfalls alle Fachleute Probleme auf die Firmen zukommen sahen: „Die Einarbeitung. Die wird sicherlich eine Herausforderung der nächsten Jahre“, erklärte beispielsweise Betriebsrätin Hallmeyer. Besonders davon Betroffene sind laut Sabine Pfeiffer „ganz neue Mitarbeitende, Praktikant*innen, Azubis. Die müssen live erleben, wie andere agieren. Davon lernt man ja.“ „Das Vermitteln von Wärme, das Integrieren ist schwieriger geworden“, bekannte auch Finanzreferent Riedel – denn im Internet funktioniere das Herumführen durch die Zimmer eben nicht mehr.
Und was passiert mit den freiwerdenden Flächen? „Das Büro wird dann zu einem Ort der Begegnung: Gute Meetingräume werden künftig besonders wichtig“, meinte VDI-Vorsitzender Kißmer.
Doch trotz aller kleinen und großen Schwierigkeiten: „Homeoffice ist eine gute Sache. Es gilt nur achtsam damit umzugehen“, fasste Eva-Maria Hallmeyer den Austausch zusammen. Für Harald Riedel gilt es, „jetzt die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen“. Professorin Pfeiffer stellte das Positive heraus: „Corona hat vieles ermöglicht.“ Sie hoffte, „dass wir das Thema HO in Zukunft ganz ohne digitale Zwänge angehen können“. Doch gelte es, „pandamiebedingte und echte Innovationen auseinanderzuhalten“.
IG-Metall-Gewerkschafter Christian Baeder bedankte sich am Ende bei allen „für die interessanten Einblicke“. Und mit den Worten „Die Erkenntnisse sind für uns Ansporn, am Thema Homeoffice dranzubleiben“ beendete VDI-Bezirksvereins-Vorsitzender Matthias Kißmer den Online-Abend.
Heinz Wraneschitz